Ehren-Stubengenosse Henri Moser Charlottenfels

Henri Moser ist siebzig Jahre alt, als ihm 1914 ehrenhalber das Stubenrecht auf Zimmerleuten verliehen wird. Ein imposanter, grossgewachsener Herr mit Stirnglatze, weissem Haar und einem ausladenden weissen Schnurrbart. Henri Moser verfügt über Charisma, Autorität, Selbstbewusstsein und Willenskraft, was sich auch in seiner aufrechten Körperhaltung ausdrückt. Moser ist eine weitum bekannte Persönlichkeit, ein Prominenter.

Uhrenhandel und Seidenraupen

Henri Moser zur Zeit seiner dritten Reise. Foto © Bernisches Historisches Museum

Henri Moser wurde 1844 in Solothurn geboren. Sein Vater Heinrich, ein erfolgreicher, begüterter Unternehmer und Industriepionier, beherrschte den Uhrenhandel in Russland. Henri, der in seine Fussstapfen treten sollte, vermochte dem übermächtigen Vater nicht gerecht zu werden. Er wurde als 18-Jähriger in die Geschäfte eingeführt und nach St. Petersburg geschickt, fand jedoch keinen Gefallen am Uhrenhandel, machte Verluste und Schulden. Die Folge war ein tiefes Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, worauf dieser auf eigene Faust in Zentralasien ein grossangelegtes Geschäft mit Seidenraupen aufzog. Auch diesem war kein Erfolg beschieden, weil politische Ränke die Entfaltung seines Handels verhinderten. Henri musste nach fünf Jahren aufgeben und bat seinen Vater um eine neue Chance. Die Aussöhnung lag in der Luft, kam jedoch nicht zu Stande, weil Vater Heinrich mit 69 Jahren einem Herzschlag erlag. Henris Wirken stand fortan im Bestreben, sich als würdiger Sohn zu erweisen und dem Namen Moser Ehre zu machen.

Für den Seidenraupenhandel hatte Henri Moser 1868–1870 zwei ausgedehnte Reisen nach Zentralasien unternommen und sich Wissen über Bräuche und Kunsthandwerk der dortigen Völker angeeignet. 1883–1884 erhielt er Gelegenheit, als Begleiter einer offiziellen russischen Expedition eine dritte Reise zu unternehmen. Er fotografierte, sammelte und machte Notizen zu seinen Beobachtungen und Erlebnissen, die er 1886 in seinem international beachteten Werk «Durch Central-Asien» veröffentlichte. Zahlreiche Ehrengeschenke, die er nach orientalischem Brauch von Fürsten entgegennehmen durfte, sowie gezielte Ankäufe in Basaren bildeten die Grundlage seiner Orientalischen Sammlung. Er erweiterte diese auf einer vierten Reise 1888–1889 und durch spätere Zukäufe in Europa, vor allem in Paris und London.

Die Orientalische Sammlung

Die umfangreiche Sammlung – sie umfasste am Ende rund 3’800 Objekte und Ensembles, vorab Waffen und Rüstungen, sodann Münzen, Kunstgewerbe, Textilien, Keramik, Manuskripte und Miniaturen – zeigte Henri Moser zwischen 1886 und 1891 in einer Wanderausstellung in sieben Schweizer Städten, in Stuttgart und in Paris. 1906 richtete er eine permanente Ausstellung im Landsitz Charlottenfels bei Schaffhausen ein, den sein Vater erbaut hatte, und beauftragte einen persischen Gelehrten mit wissenschaftlichen Erschliessungsarbeiten. Im Bestreben, seine Sammlung der Nachwelt zu erhalten und einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten, trug er der Schaffhauser Regierung die wertvolle Sammlung samt dem Landsitz Charlottenfels als Schenkung an. Obschon Moser darüber hinaus eine beträchtliche Summe für die Herrichtung des Landgutes als Museum bereitstellen wollte, schlug der Schaffhauser Stadtrat die Schenkung aus, weil er befürchtete, sich zu grosse finanzielle Lasten aufzubürden.

So kam es, dass Henri Moser sich von Schaffhausen abwendete und seine Orientalische Sammlung 1914 dem Bernischen Historischen Museum schenkte. Da dieses bereits unter grosser Platznot litt, liess er einen Erweiterungsbau erstellen – den Moserbau, der aber nicht nach ihm, sondern nach dem Architekten Karl Moser benannt ist. Museumsdirektor Wegeli war hocherfreut, auch wenn es bis zur Eröffnung im Jahr 1922 einige Kontroversen gab; Henri Moser war ein eigenwilliger und ungeduldiger Mensch. Doch Bern empfing ihn mit offenen Armen und wusste das grosse Geschenk zu würdigen.

Ehrungen und Aufnahme auf Zimmerleuten

Zum Zeitpunkt der Schenkung 1914 war Moser als Asienreisender, Sammler und Autor international bekannt und in Fachkreisen anerkannt. Neben seinem vielbeachteten Reisebericht hatte er unter anderem eine geografische und ökonomische Studie zu Zentralasien verfasst, für Österreich-Ungarn als eine Art Kulturbotschafter für Bosnien und Herzegowina gewirkt und einen Pavillon für die Pariser Weltausstellung realisiert. Moser verkehrte mit Monarchen und Regierungsmitgliedern aus Europa, Asien und Zentralamerika und war Mitglied der französischen Légion d’Honneur. 1914 wurde er mit dem Ehrendoktortitel der Universität Bern ausgezeichnet und erhielt das Ehrenburgerrecht der Burgergemeinde Bern.

Als das Vorgesetztenbott der Gesellschaft zu Zimmerleuten von der Absicht der Burgergemeinde erfuhr, setzte es ich dafür ein, Moser  ehrenhalber als Stubengenossen aufzunehmen. Die Gesellschaften zu Metzgern und zu Pfistern, welche die gleiche Absicht hegten, wurden gebeten, zu Gunsten von Zimmerleuten zu verzichten – das Vorgesetztenbott machte geltend, dass «unsere Zunft bisher noch nie in die Lage kam, ein Ehrenburgerrecht verleihen zu können».

An der eigens einberufenen Ausserordentlichen Versammlung des Grossen Botts vom 7. Mai 1914 wurde die Verleihung des Ehren-Stubenrechts an Herrn Moser und Gattin mit Akklamation einstimmig beschlossen. Gleichentags befand sich eine neunköpfige Delegation des Berner Regierungsrats, der Stadtregierung und des Burgerrats zur formellen Übergabe der Schenkung in Charlottenfels. Der Delegation gehörte auch Vizeobmann Walthard an. An ihn wurde umgehend ein Telegramm gerichtet: «Soeben ist durch einstimmigen Beschluss des Grossen Bottes Herr Henri Moser und Gemahlin in das Zunftrecht von Zimmerleuten aufgenommen worden. Sie belieben dies Herrn Moser zu eröffnen und ihn als unseren Stubengenossen herzlich zu begrüssen.»

Am nächsten ordentlichen Grossen Bott im Dezember sollte Moser persönlich erscheinen. Er entschuldigte sich aber brieflich mit der Begründung, dass er «gegenwärtig mit Weiterschaffung internierter Zivilpersonen vollständig in Anspruch genommen sei». Die Ehrenurkunde wurde daher später von einer Delegation des Vorgesetztenbotts nach Charlottenfels überbracht. Zum Dank für das Ehren-Stubenrecht schenkte Henri Moser der Zunft ein kunstvolles Trinkgefäss, das er nach einem russischen Original aus seiner Sammlung eigens anfertigen liess: Die Moserente.

Mosers Nachlass

Henri Moser starb 1923 in Vevey in seinem achtzigsten Lebensjahr an einer Lungenentzündung. Er hatte keine Nachkommen, sein einziger Sohn Henri-Benjamin war 1898 im Alter von 10 Monaten einem infektiösen Fieber erlegen. Henri Moser war eine herausragende und vielschichtige Persönlichkeit. Neben seiner Sammlung hinterliess er unter anderem ein umfassendes Bewässerungskonzept für Zentralasien, das später den Sowjets als Grundlage diente, und nicht zuletzt bewirkte er auch Reformen im schweizerischen Konsularwesen. Die Sammlung Henri Moser am Bernischen Historischen Museum gilt noch heute als eine der bedeutendsten orientalischen Sammlungen privater Herkunft weltweit. Sein Lebensmotto, ein  Vers des persischen Dichters Sheikh Sadi aus dem 13. Jahrhundert, lautete: «Unser Ziel ist es, etwas zu schaffen, was uns überlebt.» Das ist ihm gelungen.

Georg Pulver, Januar 2015

Quellen:

Balsiger, Roger, Kläy, Ernst. Bei Schah Emir und Khan. Schaffhausen, 1992.
Pfaff Robert. Henri Moser-Charlottenfels und seine Orientalische Sammlung. Sonderdruck aus Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 62/1985.
Protokolle der Gesellschaft zu Zimmerleuten, Zunftarchiv, Burgerbibliothek Bern