«Hölzige» Berufe – der Dachnagler in heutiger Zeit

Der Dachdeckerberuf kann auf eine lange und bedeutsame Geschichte zurückblicken, die sich in der Schweiz bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Bereits damals gab es ausgewiesene Fachleute, die sich ausschliesslich mit der Eindeckung von Dächern und Türmen befassten (Dachnagler, Schieferdecker usw.).
Man hat bald einmal erkannt, dass das Dach durch seine Schutzfunktion den wichtigsten Teil eines Gebäudes darstellt. Je besser das Dach, umso älter wird das Gebäude. Diese Tatsache ist bis heute geblieben.

Früher wurde ein Dorf- oder Stadtbild vorwiegend durch Steildächer geprägt. Nebst den gängigen Pult- oder Satteldächern entstanden im Laufe der Zeit verschiedene Dachformen, wie beispielsweise das Walm-, Zelt- oder gar das Krüppelwalmdach, das wir unter anderem bei unseren schönen Berner Bauernhäusern finden.
Alle diese Dächer sind so genannte Steildächer, denn sie weisen ein mehr oder weniger starkes Gefälle auf. Die Dachhaut darf dadurch Fugen aufweisen und man kann sie deshalb aus vielen einzelnen Schindeln, Platten oder Ziegeln herstellen.

Die Materialvielfalt ist natürlich im Laufe der Zeit gewachsen. So muss der ehemalige Dachnagler und heutige Dachdecker nebst Holz und Schiefer auch die Verarbeitung von Granit, Faserzement, Ton, Beton, Metall usw. kennen. Der Einsatz der Materialien richtet sich aber immer noch vorwiegend nach den Witterungseinflüssen der entsprechenden Gegend.
Daneben kennt man auch die Flachdächer, welche kein Gefälle aufweisen und deshalb fugenlos hergestellt werden müssen. Dies hat den Dachdecker vor völlig neue Aufgaben gestellt. Das Flachdach ist aber keine Erfindung aus unserer Zeit, denn seine Vorläufer sind die Innenhofterrassen in der verwinkelten Dachlandschaft der Altstadt, welche mit Holzzement oder später mit Asphalt abgedichtet wurden.

Erst die modernen Materialien wie Bitumenbahnen oder Kunststofffolien ermöglichten dann aber auch die fugenlose Herstellung von grossen Dachflächen.
In der heutigen Zeit vermehrt gefragt sind zudem so genannte begrünte Dächer, teilweise sogar mit recht aufwendigen Gartenlandschaften, was natürlich an das Material und dessen Verarbeitung wiederum andere Anforderungen stellt und weitere Kenntnisse erfordert.

Zum Handwerk des Dachdeckers zählt traditionellerweise auch die Fassadenverkleidung, welche ursprünglich aus dem Anbringen von kleinen Holzschindeln, später Schiefer und Faserzement bestand.
Durch den Wandel in der Architektur präsentieren sich heute die Fassadenarten und Materialien sehr vielfältig. Bei Neubau und Sanierung werden meistens hinterlüftete Fassaden mit mittel- bis grossformatigen Platten aus Faserzement, Glas, Polimerbeton, profilierten Alu- oder Stahlblechen usw. eingesetzt.
Es entstehen für diese Verarbeitung vermehrt spezielle Fassadenfirmen, die den Dachdecker zwar konkurrenzieren, aber eigentlich keine eigenständige Berufsgruppe bilden.
Daneben ist die Verarbeitung von Blechen und Blechanschlüsssen seit jeher klar dem Spengler zuzuordnen.

Der Hauptunterschied gegenüber früher besteht jedoch in der Wärmedämmung. Es gibt heute praktisch kein Dach mehr ohne Isolation. Je dicker diese Isolation gewählt wird, umso heikler wird die Konstruktion des gesamten Dachaufbaus, die zudem meistens nicht mehr vom Dachdecker alleine hergestellt wird.

Die Zusammenarbeit mit Zimmermann, Spengler, Baumeister, Innenausbauer und manchmal auch dem Gärtner wird immer wichtiger, und die Details müssen gemeinsam erarbeitet werden. Warm- oder Kaltdach, Unterdach, Dampfsperre und Hohlraumbelüftung sind nur einige Begriffe dazu, die ein heutiger Fachmann kennen muss. Der Wandel unserer Gesellschaft, die wachsenden Ansprüche und nicht zuletzt das steigende ökologische Bewusstsein haben zu grossen Veränderungen dieser Branche geführt.
Die heutige Berufsbezeichnung «Dachdecker» zeigt die vielfältigen Tätigkeiten nur sehr unvollständig. Der Begriff Gebäudehülle taucht langsam auf, und es ist absehbar, dass dem ehemaligen Dachnagler bald wieder einmal ein neuer Name bevorsteht.

Bleiben wird ihm aber sicher die Tradition seines Handwerks sowie seine Nähe und Verwandtschaft mit den Zimmerleuten.

Daniel Brändle