Die Brüder Grubenmann aus Teufen AR
Der Holzbau hatte im Voralpengebiet eine lange überlieferung. Unsere Baumeister stammten aus einer Dynastie von Zimmerleuten. Ohne grosse Schulbildung und ohne Ausbildung, wie sie in den Zünften der Städte bereits üblich waren, hatten sie eine besondere Begabung. Solche Probleme stellten sich sowohl bei weiten Kirchenräumen, wie der Kirche in Wädenswil mit stützenfreien Spannweiten von über 20×35 m, aber besonders im Holzbrückenbau.
Aus der Geschichte wissen wir, dass Brücken bei Hochwasser häufig weggeschwemmt wurden. Erst pfeilerlose und höher gelegene Brücken, wie sie die Grubenmanns bauten, konnten den Wassermassen standhalten.
Begabte Brüder
Jakob Grubenmann (1694–1758), der älteste der Söhne von Uli Grubenmann, hatte schon früh einen guten Namen als Kirchenbauer. Sein Ansehen brachte ihm, dem reformierten Ausserrhoder, auch Aufträge für katholische Kirchenbauten ein. Seine letzte von etwa 20 Kirchen war Hombrechtikon, die «Perle unter den Rokokokirchen».
Zu einer Zeit, als die Lehre von der Statik wissenschaftlich noch nicht begründet war, bauten die Mitglieder der Familien Grubenmann schon weitgespannte Dachstühle und Holzbrücken. Seit Generationen waren die Baumeister Grubenmann mit dem Baumaterial Holz vertraut, aber erst die grosse wirtschaftliche Blüte im 18. Jahrhundert erlaubte den begabten Zimmerleuten, ihre Talente zu entwickeln und anzuwenden. Vor allem die drei Brüder Jakob, Johannes und Hans Ulrich bauten Holzkonstruktionen, die noch heute bewundert werden. Dabei wendeten sie meist als Tragsystem sogenannte Hängewerke an, die sie zu grosser Vollkommenheit entwickelten. Professor Fritz Stüssi, Lehrer für Brückenbau an der ETH Zürich, nannte besonders Hans Ulrich Grubenmann in seiner Rektoratsrede 1949 «den Vollender der Kunst des Holzbrückenbaus».
Von ihm ist nur eine einzige Brücke bekannt, die längst einer neuen weichen musste.
Johannes Grubenmann (1707–1771) begann seine Laufbahn als Erbauer von Turmhelmen, Glockenstühlen und Turmuhren. Als selbständiger Unternehmer baute er herrschaftliche Paläste in Speicher, Trogen und Chur. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Hans Ulrich betätigte er sich als angesehener Brückenbauer in Reichenau, Grüsch GR, Wettingen und Oberglatt ZH. Auch seine beiden Söhne, Johannes und Hans Ulrich, waren talentierte Bauleute, die im gemeinsamen Familienbetrieb tätig waren
Hans Ulrich Grubenmann (1709–1783), der jüngste der Baumeisterbrüder, hatte eine besondere Begabung für die statischen Probleme beim Holzbrückenbau. Pfarrer Tobler erwähnte u.a. in seiner Abdankungsrede für den berühmten Baumeister: «Wir bemerken, dass unser verstorbener Herr Mitbruder in seinem Leben ein brauchbarer Mann und in seiner Architektur-Wissenschaft ein vorzügliche Geschicklichkeit besessen, wodurch er der menschlichen Gesellschaft grossen Nutzen geschaffet. Hiervon zeigen die vielen Häuser und Balläst, die vor vielen Leüthen zu bequemen Wohnungen erbauet, die vielen Brüggen, welche er über hinreissende Ströme, zur Erleichterung der Reisenden, aufgerichtet, die vielen Tempel, an der Zahl 30 Kirchen, welche er in und ausser dem Land so hat aufgebauet, wodurch sein Name nicht allein in der Näche, sondern auch in der Fehrne unvergesslich bleibt…»
Brücken im Appenzeller- und Glarnerland
Die vielen tief eingeschnittenen Töbel im Appenzellerland verlangten stets nach neuen Brücken, wurden doch, wie mehrfach überliefert, oft sämtliche Brücken und Stege vom Hochwasser weggeschwemmt. Die Konstruktion weitgespannter Dachstühle unserer Meister waren eine gute Voraussetzung für den Bau solch kleiner Holzbrücken im waldreichen Gebiet. Obwohl die Baumeister schon weitherum als Kirchenbauer tätig waren, erfahren wir von den ersten Brückenbauten erst spät. Von den achtzehn und bekannten Holzbrücken der Grubenmanns stehen heute nur noch zwei im Appenzellerland über die Urnäsch und diejenige über die Glatt von Oberglatt. Aber die bedeutendsten, schönsten und längsten unter den abgegangenen Brücken bleiben unvergessen. Sie wurden bewundert, beschrieben und in zahlreichen Abbildungen festgehalten, bevor sie leider alle 1799 bei den Rückzügen der Franzosen verbrannt oder gesprengt wurden.
Die erste uns bekannte Holzbrücke erbaute Hans Ulrich Grubenmann 1743 über die Linth bei Ziegelbrücke. Sie ersetzte eine baufällige alte Brücke und sollte wegen der Schifffahrt höher über das Wasser liegen kommen. Wohl deshalb zahlte auch der Stand Zürich einen Anteil von 1800 Gulden an die Kosten von über 5000 Gulden. Die gedeckte Brücke bestand aus zwei ungleichen Teilen und ruhte im Fluss auf einem breiten Pfeiler. «1762 wurden alle wichtigen Brücken des Landes Glarus, die ganz unbeschädigte Ziegelbrücke ausgenommen, weggerissen». Grubenmann hatte die Hochwassergefahr beim Bau genügend berücksichtigt. Kein Wunder, wurde Hans Ulrich in den Jahren 1762 bis 1765 mit dem Bau der Linthbrücken bei Ennenda, Schwanden und Netstal betraut, denen 1769 bei Schwanden eine weitere über die Sernf folgte. In der Zwischenzeit hatten die beiden Brüder Johannes und Hans Ulrich weitere Erfahrungen in Brückenbau erworben, so in Reichenau und Schaffhausen. über die Glarner Brücken ist wenig überliefert. Diejenigen von Ennenda soll 144 Schuh lang gewesen sein. Die Brücke von Netstal hatte eine Länge von 157 Schuh und bestand aus einem Hängewerk mit einem siebenteiligen Stabpolygon, wie ein späterer Plan zeigt. Alle Grubenmann-Brücken im Glarnerland wurden 1799 zerstört.
Meisterwerke über den Rhein
Im Auftrag von Baron Johann Anton Buol erbaute Johannes Grubenmann vor 1755 in Reichenau zwei Rheinbrücken, eine kleinere über den Vorderrhein und eine zweite über den vereinigten Rhein. Die genaue Bauzeit wird widersprüchlich überliefert. Die grössere, eine achtzehnfeldrige Konstruktion mit 70 m Spannweite ist die längste aller Grubenmannbrücken und wird «eine Zierde des Landes» genannt. über die Urheberschaft der Brücken gibt das Protokoll der Stadtratssitzung von Schaffhausen vom 12. November 1755 Auskunft: «…die Beantwortung einiger Fragstüken über die Struktur und Beschaffenheit der doppelten hängenden Brugg zu Rätzüns in Pünthen, welche Herr Grubenmann und dessen Bruder anno 1747 verfertigt habe». Auch wenn das Baudatum zu früh angesetzt wäre, kann doch der Schluss gezogen werden, dass die Reichenauer Brücken vor Baubeginn in Schaffhausen fertig waren.
Am 3. Mai 1754 gegen Abend stürzten drei Joche der steinernen Rheinbrücke in Schaffhausen, erbaut 1585 – 1611, ein und verschwanden spurlos in den Fluten. Der alte Fährdienst wurde wieder aufgenommen. Der Stadtrat setzte noch im gleichen Monat den Brückenneubau auf die Traktandenliste. In einem Schreiben wandte sich der Rat an die Städte Ulm, Frankfurt und Regensburg, um deren Meinung über einen hölzernen Brückenbau zu erfahren. Einem Holzbau wurde allgemein der Vorzug gegeben, so dass sich die Behörden auch wegen der geringeren Kosten für eine Holzbrücke entschieden. Zahlreiche Offerten von allen möglichen Brückenbauern trafen in der Stadt ein. Drei Projekte wurden in Erwägung gezogen, darunter dasjenige von Hans Ulrich Grubenmann aus Teufen. Bald darauf brachte dieser das Modell einer Holzbrücke ohne Pfeiler mit gegen 120 m Spannweite nach Schaffhausen. Das Projekt mit mehreren übereinanderliegenden Spreng- und Hängewerken hatte ein Mansardgiebeldach. Die Skepsis des Stadtrates war gross, obwohl sich Grubenmann angeblich auf das Modell stellte, um seine Tragkraft zu beweisen. Am 2. Oktober 1755 beschloss der Rat, Meister Grubenmann den bedeutenden Brückenbau in Auftrag zu geben, allerdings unter der Bedingung, dass er den guten mittleren Pfeiler der alten Brücke mitverwenden müsse. Das Projekt war bald generell genehmigt. Später beschloss man, auf eine Fallbrücke zu verzichten, und erst Ende 1756 einigte man sich auf ein Schindel- anstatt eines Ziegeldaches.
Die neue Schaffhauser Brücke
Schon am 17. November 1755 begann der Meister mit der Arbeit. Zuerst mussten die Trümmer der eingefallenen Brückenteile und die schadhaften Joche weggeräumt werden. Von der steinernen Brücke blieb einzig der mittlere Pfeiler stehen, der auch der neuen als Unterlage dienen sollte. Hans Ulrich schloss nun mit dem Säckelamt einen Akkord über den Holzkauf im Bregenzer Wald. Vom Februar bis im Juni 1756 war Hans Ulrich immer wieder in Bregenz, um das Fällen, das Behauen und den Transport des Holzes zu überwachen. Aus seinen Briefen an die Stadt Schaffhausen erfahren wir von seinen Schwierigkeiten mit dem hohen Schnee, der Unterkunft seiner Leute und dem Holzhändler Fässler, über den er sich immer wieder beschwert. Die Schiffe mit den Holzladungen durften die Zollstellen von Konstanz, Stein und Diessenhofen zollfrei passieren. Der Herrenacker mitten in der Stadt diente als Werk- und Abbundplatz. Die zusammengefügte Konstruktion brauchte dort so viel Raum, dass für die Fussgänger ein Steg darüber gebaut werden musste.
Am 27. Februar 1758 durfte die Brücke zum ersten Male befahren werden und am 2. Oktober konnte man sie eröffnen. Grubenmann bekam für seine Arbeit täglich 8 Gulden und 6 Kreuzer, jeder seiner 10–12 Arbeiter 36 Kreuzer, dazu 1 Mass Wein und ein Pfund Brot. Da die Brücke zur allgemeinen Bewunderung ausfiel, erhielt der tüchtige Baumeister ein Zeugnis und 200 Kronentaler, besonders «wegen Verfertigung des mühsamen und künstlichen Modells», das heute im Museum Allerheiligen ausgestellt ist.
Wie die Reichenauer Rheinbrücken fand auch die Schaffhauser Brücke ihren Niederschlag in den Berichten der Reiseschriftsteller des 18. Jahrhunderts. Könige, Fürsten und andere berühmte Leute bewunderten sie. Goethe erwähnte sie im Tagebuch seiner dritten Schweizerreise.
Wettingen: Vollkommenheit und Eleganz
Seit dem 15. Jahrhundert führte beim Kloster Wettingen eine Fähre über die Limmat. Am 27. Dezember 1764 schloss Abt Kaspar Bürgisser mit Hans Ulrich Grubenmann einen Vertrag über den Bau einer Holzbrücke. Er ist mit dem Siegel Grubenmanns versehen, das sein Wappen mit dem Enger über einem Triumphbogen zeigt. Grubenmann hatte ein Modell zu liefern, das heute noch im Besitze des Kantons Aargau ist. Dieses ist im Massstab 1:40, detailgetreu und hervorragend gearbeitet und zeigt eine Bogenbrücke mit Hängesäulen. Obwohl Hans Ulrich den Auftrag bekam, übernahmen sein Bruder Johannes und dessen beiden Söhne, Johannes der Jüngere und Hans Ulrich, die Ausführung. Johannes der Jüngere, der die Abrechnung für die 1766 vollendete Brücke ablieferte, blieb später in Wettingen, wurde Klosterbaumeister und trat zum katholischen Glauben über.
Johann G.R. Andreae schrieb über die Wettinger Brücke nach Hannover: «Etliche Jahre nachhero machten sie beyde bei Baden über die Limmat eine hölzerne Brücke 200 Schuh lang, die kein Hängewerk, sondern ein überaus wohl gemachtes, sehr starkes und künstlich zusammengesetztes Gewölbe ist». William Coxe berichtet: «Dieses Meisterwerk der Mechanik ist eine hölzerne Brücke, 240 Schuh lang, mehr als 20 Schuh über der Oberfläche des Wasser erhöhet. Sie war das letzte Werk Grubenmanns, dieses aus sich selbst schöpfenden Baumeisters, von dem ich sonst schon Nachricht gegeben und übertrifft die Schaffhauser-Brücke weit an Eleganz.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift des Schweizerischen Heimatschutzes Nr. 4, Jahrgang 2000. Der Zunftbrief-Redaktor dankt der Verfasserin, Frau Rosemarie Nüesch-Gautschi, Denkmalpflegerin, Niederteufen und dem Redaktor «Heimatschutz» für die Erlaubnis, diese Publikation im Zunftbrief erscheinen zu lassen.
An einem nassen windigen Februartag habe ich die Brücke, die 1778 von Hans Ulrich Grubenmann an der Urnäsch erstellt wurde, aufgesucht und einige Bilder gemacht. Die kurze etwas stotzige Wanderung ausgehende von Hundwil kann ich jedermann empfehlen, hinterlässt doch die Brücke in ihrer Situation im Tobel der Urnäsch einen starken bleibenden Eindruck. Anschliessend besichtigte ich die Grubenmann Sammlung in Teufen. Die Sammlung zeigt Leben und Werk der begabten Zimmerleute. Eine Tonbildschau macht mit den zahlreichen Bauten bekannt. Karten, Verträge, Konstruktionspläne, Zimmermannswerkzeuge und eine ganze Serie von exakt gebauten Modellen von Brücken, Dachstühlen und Turmhelmen faszinieren in der kleinen und ausgezeichnet gestalteten Ausstellung. Ich erlebte eine sehr informative und kurzweilige Führung von Herrn Kern. Diesen Ausflug ins Appenzellerland, der gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln unternommen werden kann, möchte ich allen Gesellschaftsangehörigen, insbesondere dem Vorgesetztenbott bestens empfehlen. Mit einer Besichtigung von Appenzell und einem Besuch des brandneuen Liner Museums entspricht diese Reise einem kulturellen Leckerbissen.
Der Zunftbrief-Redaktor