Wie kommt der Bär ins Wappen?

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser

Wann und auf welche Weise hat der Bär Einzug gehalten in Bern und wie hat er es sogar bis zum Wappentier gebracht?
Sie kennen sie alle auswendig, die Gründungsgeschichte Berns mit der Bärenjagd von Herzog Berchtold von Zähringen, wie sie uns der Chronist Diebold Schilling am Ende des 15. Jahrhunderts überliefert hat. Wir ersparen uns daher die Wiederholung. Wenden wir uns stattdessen für einmal älteren Schriftquellen zu. Die älteste schriftliche Überlieferung zur Geschichte der Stadt Bern, die Cronica de Berno, ist auf wenigen Pergamentlagen am Schluss des Jahrzeitenbuchs des Berner St. Vinzenzenstifts festgehalten. In annalistisch knapper Form sind die Einträge zu historisch wichtigen Ereignissen aufgeschrieben. Sie beginnen mit der Stadtgründung von 1191 und reichen zeitlich bis zur Schlacht bei Laupen 1339 und zur Schleifung der Feste Burgistein im Jahr 1344. Zur Stadtgründung steht da im lateinischen Original auf Seite 202: „Anno domini MCLXXXXI fundata est Berna civitas a duce Berchtoldo Zeringie […]“. Von Bären und Jagden findet sich keine Spur.

Übrigens: das Jahrzeitenbuch, eine schöne Pergamenthandschrift, enthält die kalendermässigen Einträge der am Vinzenzenmünster gestifteten Totenmessen. Die Handschrift liegt, sicher verwahrt, in den Gewölben der Burgerbibliothek und trägt die Signatur Mss.h.h.I.37.

Der älteste (Berner) Bär?
1833 berichtet der „Hinkende Bote“ von einem erstaunlichen Fund, den man im Jahr zuvor im Pfarrhausgarten zu Muri gemacht habe. Um Pflanzplatz für Bohnen zu gewinnen, habe man damals im Garten Mauerreste, die man als römische erkannt hätte, teilweise abgebrochen und sei dabei auf Erstaunliches gestossen: Bronzene Göttergestalten, Tierfiguren und andere „Hauszierrathen“ seien unter dem Schutt zum Vorschein gekommen. Dass es sich wohl um Stücke „von grossem Kunstwerthe“ handeln müsse, hat man damals rasch erkannt. Allein, eines der Tiere, welches gefunden wurde, gab Anlass zu Spekulationen: „Es mag 3 Zoll hoch und fast doppelt so lang seyn, ist wohl beleibt und zottig, der Kopf gleicht einem Hunde, der Hinterleib einem Bären“, so der Altertumsforscher Franz Ludwig Haller (1755-1838). War es also ein Bär, ein Hund oder gar ein Nilpferd, wie angeblich Kenner behauptet haben sollen? Man wusste es nicht.

Heute nun wissen wir mehr: es handelt sich bei der Figurengruppe um die aus gallorömischer Zeit – nämlich aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. – stammende Darstellung einer Vegetationsgöttin in zweierlei, nämlich tierischer und menschlicher Gestalt. Beide, die Bärin und die Göttin, ergänzen einander. Das römische Element – die Göttin – und das keltische Element – die Bärin – verschmelzen quasi zu einer Gottheit. Die Inschrift auf dem Sockel bezeugt uns auch deren Namen: Dea Artio, die Bärengöttin.

Nun scheint indes diese Bärengöttin der einzige Beleg für einen frühen Bärenkult in der Gegend zu sein. Eine Traditionslinie hin zu unserem Berner Bären gibt es bislang keine, jedenfalls keine nachweisbare.

Und auch mit der Namengebung für die Stadt hapert es. Durch den Fund eines keltischen Votivtäfelchens auf der Engehalbinsel gerät auch die bärische Etymologie des Namens „Bern“ erheblich ins Wanken. Auf diesem erst 1984 gefundenen Täfelchen steht nämlich unter anderem als Ortsbezeichnung zu lesen: Brenodor. Könnte das der Ursprung des Namens Bern sein? Zweifel sind auch hier angebracht. Aber, wie Annemarie Kaufmann-Heinimann meint: „Allenfalls könnte die aus dem Keltischen in die romanischen Sprachen tradierte Wortwurzel brena (Gestrüpp, Wald) ein Bindeglied zwischen dem Namen der gallorömischen Siedlung auf der Engehalbinsel und dem Namen der mittelalterlichen Stadt darstellen.“

Unsere 1832 im Pfarrhausgarten von Muri aufgefundene, schöne keltische Bärengöttin hat es also nicht bis ins Wappen geschafft, dafür aber ins Historische Museum.

Für lange Jahrhunderte schweigen nun die bärischen Quellen. Wir hören erst wieder im 15. Jahrhundert aus den Ratsmanualen, dass der Rat zu Bern am 13. Februar 1480 in Spiez für einen Bären 6 oder 7 Mütt Eicheln bestellt. Und jetzt geht‘s bärisch so richtig los: Seit dieser Zeit ist der Bär ein wiederkehrendes Traktandum der Berner Ratssitzungen.

Der Bär als Wappentier
Stadtwappen, so der frühere Staatsarchivar Rudolf von Fischer in seinem Aufsatz „Vom Bärner Wappe“ aus dem Jahr 1945, leiten sich aus drei Quellen her, als da sind: Fahnen, Siegel und Münzen. So auch in Bern: Die erste bärische Manifestation als hoheitliches Zeichen geht zurück ins 13. Jahrhundert.

Das älteste bekannte Siegel , datiert auf 1224 und in Gebrauch bis zum Jahr 1267, zeigt unmissverständlich ein vierbeiniges Tier, in welchem man schon mit ganz wenig gutem Willen durchaus einen Bären erkennen kann. Das älteste Stadtsiegel bleibt in langem und offenbar regem Gebrauch. Aber am 16. Februar 1470 muss die Stadt sowohl das kleine als auch das grosse Stadtsiegel erneuern, da die alten Siegelstempel gänzlich abgenutzt sind. Zu beachten gilt, dass der Bär auf den Siegeln – entgegen der Darstellung in den Fahnen – nicht etwa aufwärts schreitet sondern geradeaus.

Prächtiger hingegen die Münzen: Die Berner Pfennige – ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert – nehmen es allerdings mit der biologischen Wahrheit noch nicht so genau. Das abgebildete Tier hat wohl mehr Ähnlichkeit mit einem Schaf denn mit dem stolzen Berner Mutz. Entwicklungspotential ist also in jeder Hinsicht vorhanden.

Der Bär als Wappentier – stolz und in Farbe
Tatsächlich findet sich die älteste farbige Darstellung eines voll ausgereiften Berner Wappens erst im 14. Jahrhundert, nämlich auf einem Setzschild für Belagerungen. Das Objekt (heute im Bernischen Historischen Museum) ist gefertigt aus Tannenholz mit aufgeleimten, eichenen Querriemen als Verstärkung und verkleidet mit Schweinsleder, auf welchem das Wappen prangt.

Ein prachtvolles Berner Banner mit kräftig ausschreitendem Bären im Schrägrechtsbalken zeigt uns dann 1486 Diebold Schilling in seiner Spiezer Chronik. Eingebettet in eine allegorische Darstellung erleben wir einen militärischen Bären-Auszug vor der Schlacht bei Laupen 1339. Der grosse Bären-Venner mit seinem Banner – im Zentrum – wird umgeben von bärischen Büchsenschützen und Halpartenträgern, Spielleute bzw. –bären führen mit Trommlern und Pfeifern den wackeren Zug der bärischen Recken an.

Eine heraldische Besonderheit stellt das Bern-Reich dar, symbolisiert es doch in seiner Wappenpyramide die Zugehörigkeit der freien Reichsstadt Bern zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen. Zwei einander zugewandte Berner Wappen flankieren den zentral überhöhten Reichsadler. Erstmals erscheint es um 1410 im Rathaus zu Bern und bleibt bis zum Westfälischen Frieden 1648 in Gebrauch (und, weil es doch so schön ist, inoffiziell gar noch einige Jahrzehnte mehr).

Das Berner Wappen heute
Der Heraldiker hat seine ganz eigenen Regeln und seine ganz eigene Terminologie für die genaue Wappenbeschreibung entwickelt, nämlich die Blasonierung. In der heraldischen Fachsprache lautet die korrekte Blasonierung des Berner Wappens wie folgt: „In Rot ein goldener Rechtsschrägbalken, belegt mit einem schreitenden schwarzen Bären mit roten Krallen“. Man beachte ferner: Der Bär ist ein Mann!

Stadt und Kanton legen ausserdem Wert auf feine Differenzierung: während der Kanton die Souveränitätskrone trägt, muss sich die Stadt seit der Trennung von Staat und Stadt 1832 mit der Mauerzinne zufrieden geben.

New Berne, die Schwesterstadt in North Carolina, muss gar auf alles bekrönende Beiwerk verzichten, und zudem: wir erkennen unschwer eine Bärendame.

Vor einiger Zeit ging ein Aufschrei durch die bernischen Lande: Der Bär hatte seine heraldisch vorgegebene, korrekte Richtung, scheinbar ohne Grund, einfach verlassen. Solch frevelhaftes Tun erlaubt sich Meister Petz erst noch auf Strassenbahnwagen und – ausgerechnet – auf Polizeifahrzeugen! Nun, findige Köpfe enthüllten rasch des Rätsels Lösung: der Bär läuft – nein er muss vielmehr – stets in der Fahrtrichtung laufen, Heraldik hin oder her!

Die Berner und ihr Bär: Liebe auf dem Prüfstand
Grundsätzlich lieben die Bernerinnen und Berner ihr Wappentier. Oft zärtlich Mutz genannt, findet er seinen Platz als Brunnenfigur, als ExLibris, als wackerer Recke mit Armbrust, als Feuerwehrbär, als Weihnachtskatalogschmuck oder Glückwunschbote. Die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden. Diese grosse affektive Nähe führt – wie in jeder guten Ehe – mitunter auch zu Reibungen und Spannungszuständen. Über die Jahrhunderte ist indes das Verhältnis ein liebevolles geblieben, und dies bis in die heutige Zeit hinein.