Das schwarze Buch der Küffer

Es ist tatsächlich schwarz, das schwarze Buch der Kuüffer, und es ist in Bern einmalig.1
Ursprünglich muss es eine ganze Reihe solcher Bücher gegeben haben. Überlebt hat aber nur jenes
der Küffermeisterschaft. Es enthält auf nur 10 Seiten Einträge für den Zeitraum von
1732 bis 1777, welche die Verfehlungen von Küfergesellen festhalten. Da längst nicht alle
Seiten des Buches beschrieben sind, ist zu vermuten, dass es nach 1777 nicht mehr
weitergeführt wurde.

Worum geht es nun dabei? Vor dem Verlust der Kompetenzen in beruflichen
Angelegenheiten, das heisst vor der Abschaffung des Zunftzwangs zu Beginn des 19.
Jahrhunderts, gab es unterhalb der Zünfte noch eine weitere Organisation. Jedes Handwerk
war in Meisterschaften organisiert, welche das Zusammenleben und die beruflichen Fragen
regelten. An die Zunft gelangten die Meister nur, wenn ein Problem ihre Kompetenzen oder
ihre Lösungsfähigkeiten überstieg. Das betraf beispielsweise gerichtliche
Auseinandersetzungen über die Zunftgrenzen hinweg oder die Bestätigung von Rechten durch
den Rat. So weit möglich, regelten die Meisterschaften auch Auseinandersetzungen zwischen
den Meistern oder zwischen Meistern und Gesellen selbst. Ein wichtiger Punkt war, dass sie
über die Ehre des Handwerks zu wachen hatten. Wer sie verletzte, wurde so lange
ausgegrenzt, bis er sie wieder hergestellt hatte. Das machten die Meister auch sichtbar: wer
sich unredlich verhielt, dessen Namen notierten sie auf einer schwarzen Tafel, welche im
Zunfthaus hing; zudem vermerkten sie ihn im sogenannten „schwarzen Buch“. Dieses hatte
einzig den Zweck, die Erinnerung an das schändliche Verhalten aufrecht zu erhalten. Wer
seine Busse geleistet hatte, wurde wieder gestrichen, und die Ehre galt als wieder hergestellt.
Nach der Abschaffung des Zunftzwangs verschwanden die Meisterschaften, und mit ihnen fast
alle Dokumente, welche sie im Lauf der Zeit verfasst hatten. Deshalb wissen wir heute über
die innere Organisation der Berner Meisterschaften fast nichts.

Will man den Inhalt dieses Buches verstehen, ist es nötig, zuerst kurz den Begriff der Ehre
unter Handwerkern zu diskutieren. Dieser ist zeitlichen Änderungen unterworfen, weshalb er
für uns Heutige nicht auf Anhieb klar ist.

Entscheidend für das Verständnis der grossen Bedeutung, welche die Ehre hatte, ist die enge
Verbindung von persönlicher und beruflicher Ehre. Verhielt sich ein Handwerker unredlich,
gefährdete dies den Ruf des gesamten Handwerks. Gleiches galt für den Haushalt: wurde ein
Geselle unehrlich, zog er das Ansehen des Meisterhaushalts, in dem er lebte, in
Mitleidenschaft. Deshalb war die Ehre nicht einfach Privatsache, sondern eine Angelegenheit
aller.2 Konsequenterweise wurden fehlbare Personen rigoros ausgeschlossen. Das machte sie
unter Umständen von Sozialhilfe abhängig, weshalb die Zünfte ein zusätzliches Interesse
hatten, dass solche Fälle möglichst nicht vorkamen. War die Ehre eines Handwerks in Gefahr,
so drohte zudem wirtschaftlicher Schaden für alle: Vertrauen war das Kapital der Handwerker.
Geschäftspartner mussten sich auf deren Ehrgefühl verlassen können, wollten sie ihnen Kredit
geben oder sie mit Rohstoffen versorgen, die sie veredeln sollten. Die Ehre garantierte auch
die Qualität der Arbeit.3 So wurde ein grosser sozialer Druck aufgebaut, um Verfehlungen
möglichst auszuschliessen. Damit wurde auch nach aussen Vertrauenswürdigkeit signalisiert.

1 ZA Zimmerleuten 115

2 Kluge, Arnd: Die Zünfte, Stuttgart 2009, S. 108; 172

3 Thamer, Hans-Ulrich: Arbeit und Solidarität. Handwerkermentalität in Frankreich und Deutschland, in:
Engelhardt, Ulrich: Handwerker in der Industrialisierung, Stuttgart 1984, S. 473

Ehre war für den Einzelnen nicht nur eine Frage des persönlichen Ansehens; sie war
untrennbar mit der Standesehre verbunden, welche für das wirtschaftliche Überleben zentral
war: Wer sie verlor, durfte nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Es lag also auch im Interesse
jedes Einzelnen, die Ehre so schnell wie möglich wieder herzustellen, es sei denn, er habe
eine wirtschaftliche Alternative. Das wurde für die Zünfte ab dem Moment ein Problem, als
Fabriken begannen, nicht mehr von ihnen kontrollierte Arbeitsplätze anzubieten. Die Fabriken
bedrohten deshalb nicht nur die materielle Existenz der Zunftmitglieder sondern auch ihren
Zusammenhalt.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass das schwarze Buch ein zentrales Dokument
war: Wer darin eingeschrieben wurde, war fortan in seiner Existenz bedroht; für die
Meisterschaft war es ein wichtiges Instrument, die Disziplin unter den Handwerkern aufrecht
zu erhalten. Leider wissen wir heute nicht mehr ganz genau, wie weit die entsprechenden
Kompetenzen der Meisterschaften gingen. Wir stellen aber fest, dass sie gelegentlich nur
noch die Entscheidung des Rats oder des Chorgerichts nachvollzogen, jemanden ins
schwarze Buch zu schreiben. Die übrigen Sanktionen scheinen die übergeordneten Instanzen
beschlossen und durchgesetzt zu haben. Nur wenige Einträge geben uns Aufschluss über
Strafen, welche die Meister selbst verhängten.

Was steht denn nun in diesem Buch? Von 1732 bis 1777 enthält es insgesamt 28 Namen von
Gesellen, die sich etwas zuschulden kommen liessen. In dreizehn Fällen kennen wir nur die
Namen; in einem Fall heisst es einzig, Heinrich Carl Stumpf von Röhnheim in der Pfalz sei
wegen „infamen schweren Thaten“ ins schwarze Buch eingeschrieben worden. Es bleiben
also nur wenige Missetaten, die wir genauer bestimmen können. Gelegentlich wurde
gestohlen: 1735 stahl Corneli Jantz von Darmstadt eine Tabakdose und lief davon; 1738
entwendete Mathias Weinmann von Leimen bei Heidelberg einen Hahn aus Messing, 1752
liess Johannes Hochschlitz von Geppingen 8 Mass Wein, 2 Hemden, ein Paar Hosen, ein
Schermesser, einen Kamm und Schuhbürsten mitlaufen, und 1742 wurde Michael Morloch
aus Feichten an der Enz schuldig befunden, der Meisterschaft „Infraction und Schaden“
zugefügt zu haben. Ein Problem ergab sich aus der Tatsache, dass Gesellen nicht heiraten
durften, und dass man von Ledigen sexuelle Abstinenz verlangte. Das dürfte etliche dieser
jungen Männer überfordert haben; jedenfalls sind Philipp Jacob Marti von Karlsruhe und Adam
Reb von Ilpisheim wegen eines und Michael Morloch gleich wegen zwei unehelichen Kindern
notiert worden. Die Strafen dafür sind nicht festgehalten; das war Sache des Chorgerichts.
Dass sie nicht wieder gestrichen wurden ist ein Hinweis darauf, dass man sie nicht zur
Rechenschaft ziehen konnte. Vermutlich waren sie rechtzeitig weitergewandert. Ein Melchior
Gfeller aus dem Gwatt machte sich 1735 unbeliebt, weil er heimlich in Bern „hin und wieder
pfuschte und stümplete“; das heisst, er machte der lokalen Handwerkerschaft unerlaubt
Konkurrenz. Nachdem man ihn erwischt hatte, bezahlte er 1736 die geforderte Busse von
zwei Pfund „Bott Gelt“, vermutlich Verfahrenskosten, und zwei Taler in die Kasse der
Meisterschaft. Daraufhin wurde er aus dem schwarzen Buch gestrichen; das heisst, seine
Ehre war wieder hergestellt. Aber sie hielt nicht lange: 1738 wurde er erneut notiert, allerdings
ohne Angabe seines Vergehens. Ins gleiche Kapitel geht das Vergehen von Johann Georg
Hammann: Er versuchte, einem anderen Gesellen zu einer Stelle in Genf zu verhelfen, was
dessen Meister natürlich missfiel. Hammann bezahlte eine Busse und wurde wieder
gestrichen. Für Meister, die mit der Arbeitskraft eines Gesellen rechneten, war es
unangenehm, wenn die Gesellen vorzeitig davonliefen, das heisst die Kündigungsfrist nicht
einhielten. Gleich zwei Mal, 1737 und 1738, geschah dies Meister Schönweiz, wobei der
zweite Geselle auch noch den schon erwähnten Messinghahn mitgehen liess. Ein weiterer
Geselle, Johannes Frölich aus dem Elsass, wies ein falsches Arbeitszeugnis vor.
Bemerkenswerterweise ist nur gerade ein Fall von Gewaltanwendung dokumentiert: 1777
wurde Jakob Razler von Linkenstein „wegen grosser Misshandlung mit dem KüfferSchlegel“
vom Rat „an die schwarze Taffel und in das schwarze Buch erkent“. Das Strafmass ist nicht
ersichtlich. Der Fall lag also nicht in der Kompetenz der Meisterschaft. Sie sorgte einzig dafür,
dass Razler in Bern nicht mehr beschäftigt wurde. Schliesslich bleibt noch ein etwas
rätselhafter Eintrag: 1732 wurde Tobias Bächtel aus Frankenthal ins schwarze Buch
eingeschrieben, weil er am Küffertanz gegen seine Kameraden untreu geworden sein soll.
Was damit gemeint ist, bleibt uns leider verborgen.

Diese Aufzählung sollte uns nun nicht dazu verleiten, die Küffer ohne weiteres als üble
Gesellen zu betrachten. Schliesslich sprechen wir hier über einen Zeitraum von 45 Jahren.
Auch wenn nicht jedes Vergehen gleich mit einem Eintrag im schwarzen Buch geahndet
wurde, so dürfen wir doch annehmen, dass der Alltag der Küffer im 18. Jahrhundert
grundsätzlich friedlich verlief.

Philipp Stämpfli, lic.phil.hist., Burgerarchivar

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