Hans Georg Nussbaum ist Obmann der Zunft, die als erste das Frauenstimmrecht eingeführt hat.
Der Fürsprecher blickt optimistisch in die Zukunft –und kritisch in die Vergangenheit.
Im Zunftgebäude an der Kramgasse 2: Hans Georg Nussbaum
Herr Nussbaum, die Gesellschaft zu Zimmerleuten feiert ihr 700-Jahr-Jubiläum. Wird es die Zunft in weiteren 700 Jahren noch geben?
Das weiss ich nicht, aber ich hoffe es natürlich. Wichtig ist, dass wir weiterhin nicht nur für unsere Angehörigen tätig sind, sondern etwa mit Kulturbeiträgen über unsere Gesellschaft hinaus wirken.
Bereits vor 130 Jahren galt das Zunftwesen als Anachronismus. Das scheint heute noch ausgeprägter zu sein.
Wir sind eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit langer Tradition. Aber wir stehen voll im heutigen Leben. So sind wir für die Sozialhilfe unserer Angehörigen zuständig, engagieren uns im Kulturbereich und unterstützen Berggemeinden. Das sind alles sehr aktuelle Aufgaben.
Trotzdem wirkt das Zunftwesen etwas verstaubt und wenig entwicklungsfreudig. Lange haben die Zünfte Katholiken ausgeschlossen. 1997 wurde die erste Person jüdischen Glaubens aufgenommen.
Das kann ich nicht bestreiten. Immerhin kann ich aber darauf hinweisen, dass die Gesellschaft zu Zimmerleuten die erste Berner Zunft war, die das Frauenstimmrecht eingeführt hat.
Auch zeigt sich die Burgergemeinde oft nicht sehr willig, ihre Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten.
Vielleicht musste man uns ein bisschen dazu anstossen, aber mittlerweile ist eine Aufarbeitung am Laufen. Ich denke, wir sind diesbezüglich auf gutem Weg. Momentan steht die Zunft zum Mohren im Fokus. Der Mohr im Wappen der Zunft bediene Stereotypen und sei diskriminierend, heisst es. Ich bedaure den Vorstoss von Herrn Halua Pinto de Magalhães. Die Zunft zum Mohren hat wie alle Zünfte eine sehr lange Tradition. Man sollte das Wappen im Kontext der Geschichte betrachten.
Wie unterscheidet sich eigentlich die Gesellschaft zu Zimmerleuten von den anderen Zünften?
Es gibt kleine Unterschiede. Vielleicht werden einzelne Traditionen etwas anders gelebt und Zunftanlässe anders gefeiert.
Wie viele Angehörige Ihrer Zunft arbeiten noch im Holzgewerbe?
Das sind etwa fünf Personen. Gerade kürzlich haben wir jemandem das Gesellschaftsrecht verliehen, der über eine Schreinerausbildung verfügt. Juristen hat es aber tatsächlich ein paar mehr (lacht). Zu den heutigen Aufgaben der Zunft gehört die Gewährung der Sozialhilfe ihrer Angehörigen.
Woher kommt diese Verpflichtung?
Das hat historische Gründe. Bereits als die Zünfte noch reine Berufsverbände waren, sorgte man für die Angehörigen. 1676 wurden die Zünfte dann verpflichtet, armengenössige Witfrauen und Kinder zu unterstützen.
Bekommen sozialhilfeabhängige Zünftler einen höheren Betrag als bedürftige Normalbürger?
Nein. Die Gesellschaft zu Zimmerleuten richtet sich nach dem Sozialhilfegesetz des Kantons Bern und den Skos-Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Selbst die kommende Kürzung der Sozialhilfe betrifft unsere bedürftigen Angehörigen.
Wieso streben Leute noch das Gesellschaftsrecht an, also die Zugehörigkeit zu einer Zunft?
Die Menschen kommen vor allem aus ideellen Gründen zu uns. Sie schätzen das Wirken der Burgergemeinde und suchen das Heimatgefühl, das die Zünfte bieten.
Welche Rolle spielen finanzielle Interessen beziehungsweise die Vernetzung mit Personen in guten gesellschaftlichen Positionen?
Ich denke, das spielt höchstens eine untergeordnete Rolle.
Wie kommt die Zunft zu ihren Einkünften?
Wer das Gesellschaftsrecht erwerben will, bezahlt eine Einkaufssumme. Diese variiert je nach Einkommen, Vermögen und Familiengrösse und entspricht etwa einem Monatslohn. Weitere finanzielle Verpflichtungen haben unsere Angehörigen nicht. Allerdings sind wir auch schon grosszügig mit Legaten oder Erbschaften bedacht worden. Die bedeutendste Einnahmequelle sind aber unsere Liegenschaften.
Im Ausscheidungsvertrag 1852 wurden die Ländereien und Immobilien zwischen Einwohnergemeinde und Burgergemeinde aufgeteilt. Wurden den Zünften da auch Vermögen zugesprochen?
Nein. Zumindest unsere Gesellschaft war vom Ausscheidungsvertrag nicht betroffen. Wir hatten 1852 bloss eine Liegenschaft und auch keinen Goldschatz, der in irgendeinem Keller ruhte.
Dass der Burgergemeinde damals rund ein Drittel der Stadtberner Ländereien zugesprochen wurde, sorgt immer wieder für Unmut. Andere sagen, dass die ausgabenfreudigen Stadtbehörden das Vermögen längst verprasst hätten.
Ich teile diese Einschätzung. Aber das ist natürlich eine hypothetische Frage.
Welche Herausforderungen muss die Zunft künftig bewältigen?
Die steigende Mobilität der Bevölkerung führt dazu, dass die Verbundenheit mit dem Heimatort abnimmt.
Das ist auch bei uns feststellbar. Viele sind sich gar nicht mehr bewusst, dass sie Angehörige der Gesellschaft sind.
Unsere Aufgabe ist es, diesen Personen das entsprechende Bewusstsein und ein Heimatgefühl zu vermitteln.
Haben Sie Mühe, Ihre Ämter zu besetzen?
Bis jetzt ist es uns immer gelungen, die Posten mit geeigneten Personen zu besetzen. Allerdings muss man heute vielleicht ein paar Personen mehr anfragen, als dies früher der Fall war. Die Anzahl Teilnehmer an unseren Zunftversammlungen ist aber in den letzten 30 Jahren konstant geblieben. Ich schaue der Zukunft deshalb gelassen und optimistisch entgegen.